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Autor: Stefanie Greiner
29.07.2016

Am Donnerstag sind die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in die ehemalige Schule in Klepzig eingezogen.
Foto: Heiko Rebsch
Köthen -
Klepzig hat seit Donnerstag 35 Einwohner mehr. Die unbegleiteten minderjährigen Ausländer, kurz Uma, sind in die ehemalige Schule auf dem Gelände der Beschäftigungsgesellschaft BVIK eingezogen. Sie sind 14 bis 18 Jahre alt und kommen unter anderem aus Afghanistan, Äthiopien, Somalia und Syrien.
In letzter Zeit ist hitzig darüber diskutiert worden, dass junge Flüchtlinge in den Köthener Ortsteil ziehen sollen. Die MZ beantwortet einige Fragen dazu.
Warum werden die Jugendlichen in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht und nicht in kleineren Wohneinheiten?
Der Begriff „Gemeinschaftsunterkunft“ ist nicht ganz richtig. „Jugendheim“ muss es vielmehr heißen. „BVIK-Jugendwohncamp“ nennt Geschäftsführer Ulrich Heller das Projekt. Die Jugendlichen leben in Wohngruppen. Sechs teilen sich eine Wohnung, jeweils zwei ein Zimmer. In jeder Wohnung gibt es Bad und Küche.
Das Landesjugendamt befürwortet das Jugendwohncamp. „Im Sinne der Jugendlichen, die sich schon kannten, haben wir dem zugestimmt“, teilt die Pressestelle des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt mit. Die jungen Flüchtlinge zu trennen, macht auch BVIK-Mitarbeiter Uwe Raubaum deutlich, wäre unglücklich gewesen. „Dann fängt der ganze Prozess von vorn an“, sagt er. Die Jugendlichen hätten sich an ihre Bezugspersonen gewöhnt. Und aneinander.
Können die Jugendlichen individuell betreut werden?
Ja, versichert Ulrich Heller. „Wir haben ein doppeltes Erziehersystem“, sagt er. Jede Wohngruppe habe ihren eigenen Wohngruppenerzieher. Hinzu würden Bezugserzieher kommen, die sich ganz gezielt um ihnen zugewiesene Jugendliche kümmern würden. „Das größte Leben findet in der Wohngruppe statt“, erläutert Ulrich Heller.
Wer kümmert sich um die Jugendlichen?
Insgesamt 30 Mitarbeiter. Die meisten davon sind Erzieher und Pädagogen. „Das Landesjugendamt hat deren Eignung überprüft“, teilt die Pressestelle des Landesverwaltungsamtes mit. „Die Betreuer haben in der Regel eine sozialpädagogische Qualifikation beziehungsweise verfügen über Erfahrungen und Kompetenzen, mit denen sie sich für die Betreuung der Jugendlichen qualifizieren.“ Erzieher und Pädagogen werden außerdem von BVIK-Mitarbeitern unterstützt, die Ulrich Heller für besonders geeignet hält. Auch deren Eignung ist überprüft worden.
Ein Drittel der Angestellten war bereits vorher für die BVIK tätig. Es seien sehr engagierte und professionelle Mitarbeiter, lobt der BVIK-Geschäftsführer. Zwei Drittel der jetzigen Mitarbeiter wurden neu angestellt. „Wir sind auch noch weiter auf der Suche“, merkt Ulrich Heller an. Nach Erziehern und Diplomsozialarbeitern. Zu den 30 Mitarbeitern kommen Lehrer, die die Sprache der Jugendlichen sprechen, arabisch zum Beispiel. Am Montag fängt außerdem eine Psychologin an. Sie soll den jungen Flüchtlingen dabei helfen, ihr Trauma zu bewältigen, sagt der BVIK-Geschäftsführer. Die Psychologin soll darüber hinaus die Erzieher beraten und weiterbilden.
Wie werden die jungen Flüchtlinge beschäftigt?
Die meisten Jugendlichen gehen zur Schule. Sie besuchen die Sekundarschule „An der Rüsternbreite“ in Köthen beziehungsweise die Berufsbildenden Schulen in Bitterfeld. Uwe Raubaum arbeitet eng mit den Lehrern zusammen. Das Team der BVIK will die jungen Flüchtlinge fördern und bei den Hausaufgaben unterstützen. „Die Jugendlichen, die noch nicht zur Schule gehen, werden von uns unterrichtet“, sagt Uwe Raubaum. Ansonsten versuchen die BVIK-Mitarbeiter, ihnen einen normalen Alltag zu ermöglichen. „Wir bieten verschiedene Arbeitsgemeinschaften an“, sagt Heller. Eine Internet-AG zum Beispiel. Oder Deutsch-Stunden. Die Jugendlichen sollen sich zudem musikalisch, kreativ und handwerklich ausprobieren. Im Keller der Unterkunft gibt es eine Fahrradwerkstatt.
Sport nimmt auch viel Raum ein. Ein Teil der Jugendlichen spielt Fußball beim PSV 05 Köthen in Porst. BVIK-Prokurist Taoufiq Elmourabiti hat das möglich gemacht. Der Mann aus Marokko hat selbst jahrelang Fußball gespielt und ist noch immer Mitglied beim PSV 05. Er erzählt stolz, dass sich auch andere Vereine für die Jugendlichen interessieren würden.
Eines ist der BVIK besonders wichtig: Die Flüchtlinge sollen wieder ein Ziel vor Augen haben. „Lebensperspektive plus“ nennt sich ihr Programm. „Sie müssen in einen Rhythmus reinkommen, damit sie nicht mehr bespaßt werden müssen, sondern eigene Interessen verfolgen“, sagt Uwe Raubaum.
Einige Anwohner haben im Vorfeld ihre Bedenken geäußert. Wie soll ihnen die Angst vor den neuen Nachbarn genommen werden?
„Die Klepziger dürfen sich nicht verrückt machen lassen“, macht Uwe Raubaum deutlich. Sie sollten erst einmal abwarten. Bei Problemen könnten sich die Anwohner immer noch an die BVIK wenden. Der Mitarbeiter fragt sich, woher die Ängste kommen. Schließlich dürften die wenigsten Klepziger, vermutet er, bislang mit jungen Flüchtlingen zu tun gehabt haben. „Es sind junge Leute, die im Grunde genommen nicht anders sind als andere.“ Mit einem Unterschied: Sie hätten Dinge erlebt, die niemand seinen eigenen Kindern wünschen würde.
Ulrich Heller und Uwe Raubaum würden sich freuen, wenn die Klepziger ihren neuen Nachbarn offener gegenüberstehen. „Man kann mit den Jungs reden“, sagt Uwe Raubaum. Sie seien interessiert und talentiert. Er merkt an, dass es in Klepzig viele kleine Firmen gibt. „Man kann ihnen das doch einfach mal zeigen“, schlägt er vor.
Ulrich Heller hebt eines hervor: „Wir haben auch viel Zuspruch von den Klepzigern für unser Projekt.“ Nicht jeder habe etwas gegen die jungen Flüchtlinge. Im August will Ulrich Heller interessierte Bürger dazu einladen, die neuen Bewohner der ehemaligen Schule einfach mal kennenzulernen. Ein genauer Termin steht noch nicht fest. (mz)
Was sagt Ulrich Heller zu den Vorwürfen einiger Bürger, er würde mit den jungen Flüchtlingen nur Geld verdienen wollen?
Er würde sich um die Jugendlichen kümmern, weil der Bedarf da sei, macht Ulrich Heller deutlich. „Wir haben einen Auftrag“, betont er. Den Auftrag, sich um die Flüchtlinge zu kümmern.
Eines möchte er in diesem Zusammenhang klarstellen: „Es ist der gleiche Kostensatz, der für deutsche Kinderheime gilt. Nicht mehr und nicht weniger.“ Für Ausländer gebe es keinen Bonus. Auf Nachfrage der MZ teilt der Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit: „Die Kosten der Betreuung eines Umas richten sich nach dem jeweiligen individuellen Bedarf und können sehr unterschiedlich sein.“
Was passiert mit der Unterkunft in der Rüsternbreite, in der die jungen Flüchtlinge vor ihrem Umzug nach Klepzig untergebracht waren?
Die Mitarbeiter der BVIK werden nach eigenen Angaben wohl noch zwei Wochen brauchen, bis alles ausgeräumt ist. Danach steht das ehemalige Gymnasium leer. „Die Schule ist und bleibt Ausweichstandort für die Sekundarschule Völkerfreundschaft, wenn deren Sanierung ansteht“, teilt der Landkreis mit. (mz)